Pa­ris 2024

Rad­tour Bonn-Paris-Maisse-Bonn

Tag 6: Cam­ping de la Mon­ta­gne - Cam­ping Pa­ris Beaux Vil­la­ge

Der We­cker klin­gelt um 5 Uhr in der Frü­he. Ich hät­te den Cam­ping de la Fret­te nicht ein­fach kampf­los auf­ge­ben sol­len. So wird es ein Tag, der es mir nicht ein­mal er­laubt, in ei­nem der Cafés auf ei­nem der cha­rak­te­ris­ti­schen Stüh­le ei­nen Drink zu mir zu neh­men. Es wä­re oh­ne­hin ein Bier ge­wor­den. Aber: Die Pro­mil­le­gren­ze für Rad­fah­rer liegt in Frank­reich bei 0,5! Ein Grund, warum ich nicht mit dem Rad in den Ort fah­re, um dort zu es­sen.

Um 7:49 Uhr bin ich un­ter­wergs. Smart­phone und GPS-Emp­fän­ger sind voll auf­ge­la­den, aber der bil­li­ge und er­bärm­li­che Sig­ma Rox 2.0, dem man in je­der ein­zel­nen Funk­ti­on an­sieht, dass er oh­ne In­spi­ra­ti­on ge­baut wur­de, wird am Abend nach nur 12 Stun­den man­gels Strom aus­fal­len. Auf der Rück­fahrt wird er kom­plett aus­fal­len. Letzt­lich bin ich froh, dass ich das Teil weg­wer­fen kann. Ich hat­te zahl­rei­che Sta­te­ments pro­gram­miert, um die vie­len Feh­ler beim Ein­le­sen der Da­ten nach GNavigia/Gina zu kom­pen­sie­ren, aber ge­nug ist ge­nug.

EuroVélo 3 - Ausschilderung An die­sem Tag wird viel schief­ge­hen. Da ich nun kei­nen Strom mehr er­zeu­gen kann, na­vi­gie­re ich mit­tels Schil­der, was im We­sent­li­chen auch gut funk­tio­niert. Aber be­reits nach ei­ner Stun­de, bei Mont­macq, ha­ben ir­gend­wel­che Dep­pen die Schil­der de­mon­tiert. Bis ich zu­rück bin auf der Rou­te, ver­geht ei­ne gu­te hal­be Stun­de. Dass ich per­ma­nent hin­ter der Zeit her­lau­fe, führt u. a. da­zu, dass ich we­nig Fo­tos ma­che.

Bei Com­pièg­ne tref­fe ich wie­der auf ei­nen Kanal. Im Ort selbst gibt es gu­te Rad­we­ge ent­lang der Oi­se, die nur sel­ten durch Am­peln un­ter­bro­chen wer­den. Ich kom­me zü­gig vor­an. Ab Ver­be­rie geht es zu­rück auf klei­ne­re De­par­te­ment­stra­ßen bis Pont­point, je­nem Ort, den ich we­gen des Cam­ping de la Fret­te hät­te er­rei­chen müs­sen.

Das ist der Wen­de­punkt. Ich kau­fe in ei­ner Bä­cke­rei ein Croissant und las­se ei­ne Was­ser­fla­sche auf­fül­len. Da­nach steigt die Stra­ße, die weit­ge­hend für den Au­to­ver­kehr ge­sperrt ist, wie ei­ne Ra­ke­te in den Him­mel. Zwar über­win­de ich nur 100 Hö­hen­me­ter, aber die Steil­heit for­dert Tri­but. Ich brau­che Was­ser und Pau­sen zum Trin­ken. Ab­ge­se­hen da­von ist es ei­ne wun­der­schö­ne Stre­cke durch den Wald, lei­der mit ei­ni­gen un­schö­nen Brems­schwel­len im all­ge­mein zu­gäng­li­chen Ab­schnitt, die auch mich bergab aus­brem­sen.

In Sen­lis kau­fe ich ein, u. a. fri­sche Milch. Milch ist auch so ein lei­di­ges The­ma in Frank­reich. Kein Su­per­markt bie­tet Frisch­milch mit 3,8% Fett an und hö­her. 3,6% ist das Ma­xi­mum. Je­der­mann weiß, dass erst die letz­ten 0,3% den Ge­schmack brin­gen. Für mich nicht mehr, aber für Ge­sun­de ist das so. Ich er­wi­sche zu­dem 1,6%-ige. Ek­lig. Aber ich kann Müs­li nun mal am bes­ten es­sen. Über­rei­fe Bana­nen ma­chen die Mahl­zeit süß und ich ver­ges­se die Milch.

Nach Sen­lis, das ei­nen ganz net­ten Orts­kern hat, ge­ra­te ich auf die D 1017. Sie war frü­her ein­mal ei­ne je­ner ge­fürch­te­ten 3-spu­ri­gen Na­tio­nal­stra­ßen, die ich noch von mei­nen ers­ten Rei­sen nach Frank­reich ken­ne. Wenn zwei gleich­zei­tig über­hol­ten, gab es je­ne wur­der­ba­ren Un­fäl­le, bei de­nen da­nach wirk­lich al­le Be­tei­lig­ten tot wa­ren. Heu­te wird das Über­ho­len wech­sel­sei­tig frei­ge­ge­ben. Seit die Au­to­bah­nen den Fern­ver­kehr auf­neh­men, wer­den die al­ten Na­tio­nal­stra­ßen «de­par­te­men­ta­li­siert», wie ich zu sa­gen pfle­ge. Die al­te Num­mer lebt da­bei wei­ter, so­dass die D 1017 die al­te N 17 re­prä­sen­tiert.

Ich ha­be es ver­passt, in Sen­lis ei­nen net­ten Platz zu su­chen, ha­be nun aber Hun­ger. Am En­de sit­ze ich auf ei­nem Park­platz oh­ne Bän­ke auf der Schran­ke ei­nes Wald­wegs und ver­zeh­re mein Müs­li. Trotz­dem brau­che ich fast ei­ne Stun­de, was ent­schie­den zu lang ist.

In Fos­se kau­fe ich noch ein­mal ein. Ich fin­de di­rekt am Weg ei­nen Car­re­four. Dies­mal be­kom­me ich fri­sche «Voll­milch», wenn sich 3,6%-ige über­haupt so nen­nen darf. Ich wer­de sie in der Nacht noch brau­chen. Hin­ter Fos­se heißt die N 17 nun D 317. Sie wird von ei­nem Rad­weg mit gu­ter Ober­flä­che be­glei­tet. Bei Lou­vres kann ich die Orts­stra­ßen neh­men, aber da­nach, und Ko­moot schickt mich kal­ten Her­zens ins Ver­der­ben, wird die Stra­ße 4-spu­rig. Ich hö­re die LKW hin­ter mir run­ter­schal­ten, man­che hu­pen. Zwei Ki­lo­me­ter hal­te ich das aus, dann set­ze ich ei­nen Zwi­schen­punkt bei le Thil­lay und er­zwin­ge so ei­ne Na­vi­ga­ti­on über Land.

Radweg in Paris Über Go­nes­se er­rei­che ich schließ­lich le Bour­get, den al­ten fran­zö­si­schen Flug­ha­fen, der heu­te noch für die Luft­fahr­taus­stel­lung her­hal­ten muss. Von dort geht es schnur­ge­ra­de zur Por­te de la Vi­let­te, wo der Rad­weg ent­lang der Sei­ne be­ginnt. Über­all Po­li­zei, aber nie­mand in­ter­es­siert sich da­für, wenn ich ei­ne ro­te Am­pel über­fah­re. Ver­mut­lich kom­me ich nicht selbst auf die Idee son­dern fol­ge je­man­dem, der mir das vor­macht.

Wä­ren nicht Olym­pi­sche Spie­le in Pa­ris, hät­te ich si­cher in ei­nem klei­nen Ho­tel ei­ne Un­ter­kunft be­kom­men, aber so sind selbst die Cam­ping­plät­ze aus­ge­bucht, von de­nen aus man fuß­läu­fig ei­nen Bahn­hof er­rei­chen kann. Im Ge­gen­satz zu Deutsch­land, wo die Bahn im­mer wie­der An­lass für Be­schwer­den gibt, scheint Île de Fran­ce Mo­bi­lités gut zu funk­tio­nie­ren. Zu­min­dest be­stä­ti­gen mir das die­je­ni­gen, die den Ser­vice nut­zen.

Paris entlang der Seine Ich bin da­zu ver­dammt, Pa­ris zu durch­que­ren. Am frü­hen Nach­mit­tag le­se ich auf ei­ner An­zei­ge­ta­fel, dass es 35°C hät­te, was sich mit der Vor­her­sa­ge für den Tag deckt. Ich trin­ke Was­ser und Co­ca Co­la, «ori­gi­nal tas­te», al­so mit je­der Men­ge Zu­cker. So spa­re ich ei­ne wei­te­re Mahl­zeit und bei sehr heißem Wet­ter hat sich das bis­her stets be­währt. Ir­gend­wo in Hö­he der Por­te de la Vi­let­te kau­fe ich in ei­nem Su­per­markt ein. Das Rad kann ich be­ru­higt drau­ßen ste­hen las­sen, weil ein Se­cu­ri­ty Mann am Ein­gang die Ta­schen der Kun­den ein­sam­melt, ei­ne Num­mer ver­gibt und dann un­ter die­ser Num­mer ab­legt. Mit Ta­sche kommt hier kei­ner in den La­den. Und mein Rad hat auch schon sei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt und er lobt mei­ne Cou­ra­ge mit «Dau­men hoch».

Da ich we­gen der Schwie­len nicht mehr mit kur­zer Ho­se über der Rad­fahr­un­ter­ho­se fah­re, ha­be ich ei­ne Art Hand­ta­sche ent­wi­ckelt. Ich schlie­ße das Rad ab, le­ge Schlüs­sel, Smart­phone und Geld­bör­se in mei­nen Helm und be­tre­te mit dem Helm an der Hand das Ge­schäft.

Nach dem Ein­kauf fah­re ich wei­ter Rich­tung Sü­den. Wa­rum ich den Eif­fel­turm nicht se­he, weiß ich nicht. Ich fol­ge dem Rad­weg ent­lang der Sei­ne, der zu­meist auf Kos­ten der Au­tos an­ge­legt wur­de. Ei­ne Fahr­spur hat man da­für ge­op­fert. Ins­ge­samt er­scheint der Ver­kehr deut­lich re­du­ziert ge­gen­über frü­her, aber ob das an den Spie­len liegt oder im­mer so ist, kann ich na­tur­ge­mäß nicht sa­gen.

Paris - Passerelle Simone de Beauvoir Ich ma­che ei­ne kur­ze Pau­se zum Fo­to­gra­fie­ren an der Sei­ne und be­tre­te kurz die Brücke Pas­se­rel­le Si­mo­ne de Beau­voir, die ex­pli­zit für den Rad­ver­kehr ge­sperrt ist. Das liegt wohl an der be­son­de­ren Kon­struk­ti­on und nicht an der Tat­sa­che, dass die an­de­re Sei­te der Sei­ne we­gen an­ste­hen­der Wett­be­wer­be ge­sperrt ist.

Das Pa­ris, das ich an die­sem spä­ten Nach­mit­tag er­le­be, ist un­auf­ge­regt und ent­spannt. Ich fah­re zu­sam­men mit an­de­ren Rad­fah­rern durch die Stadt. Sie ha­ben die Am­peln in «ab­so­lut not­wen­dig» und «we­ni­ger wich­tig» ein­ge­teilt. Letz­te­re wer­den auch bei rot über­fah­ren. Meist han­delt es sich um Fir­men­ein­fahr­ten und un­ter­ge­ord­ne­te Zu­we­gun­gen. Ich tue es den Ein­hei­mi­schen gleich, was we­gen der Län­ge der Stre­cke und der kur­zen Ab­stän­de zwi­schen den Am­peln auch nach­voll­zieh­bar ist. Hät­te ich das nicht ge­tan, wä­re ich ver­mut­lich noch die gan­ze Nacht über in der Stadt un­ter­wegs ge­we­sen.

Es däm­mert be­reits, als ich bei Choisy-le-Roi die Sei­ne ver­las­se. Et­wa ei­nen Ki­lo­me­ter ver­lie­re ich bei dem Ver­such, die kor­rek­te Tras­se zu fin­den. Der GPS-Emp­fän­ger ist da be­reits aus­ge­fal­len. Den wei­te­ren Track kom­po­nie­re ich aus der Pla­nung hin­zu. Er ist ei­ne idea­li­sier­te Dar­stel­lung des­sen, was an die­sem Abend pas­siert.

Da ich kein Licht ha­be, fah­re ich so oft über Bür­ger­stei­ge wie mög­lich. Da die Na­vi­ga­ti­on mit Ko­moot nur mit Bild­schirm funk­tio­niert, die Res­t­ener­gie aber breits be­denk­lich nied­rig ist, nut­ze ich Goo­gle. Das führt aber zu ab­son­der­li­chen Stre­cken­vor­schlä­gen, die tags­über viel­leicht fahr­bar sind, nicht aber bei Nacht oh­ne Licht. Ein­mal muss ich das Smart­phone aus der Ta­sche ho­len und den Weg mit der Ta­schen­lam­pen­funk­ti­on be­leuch­ten, die be­kannt­lich kaum Ener­gie ver­braucht. Zu­vor hat­te mich die App be­reits über ei­nen Weg ge­schickt, der mit ei­nem so en­gen Durch­gang ver­se­hen war, dass ich die vor­de­ren Sat­tel­ta­schen ab­la­den muss­te. Ei­ne Rück­fahrt über den sehr stei­len Weg woll­te ich mir an­de­rer­seits auch nicht mehr an­tun. Die­ser Weg ist man­gels GPS-Emp­fän­ger na­tür­lich auch nicht do­ku­men­tiert.

Zwar kom­me ich in­mit­ten der Hoch­häu­ser Pa­ri­ser Vor­städ­te da­bei in ei­ne Wald­zo­ne, ent­le­gen wie ein­sa­me Ab­schnit­te im Kot­ten­forst, die um die­se Zeit si­cher­lich nicht mehr be­sucht wird, und die sich zum wil­den Zel­ten an­ge­bo­ten hät­te, aber ob ich es ge­schafft hät­te, spä­ter in völ­li­ger Dun­kel­heit das Zelt auf­zu­bau­en, will ich ir­gend­wie auch nicht aus­pro­bie­ren und fah­re wei­ter auf ei­nem Weg, der nicht nur aben­teu­er­lich be­gon­nen hat. Zwi­schen­durch kommt ein sehr stei­les Ge­fäl­le, das zu ei­nem Steg oh­ne Ge­län­der hin­un­ter führt. Ich kann das mit mei­nem Rad mit To­des­ver­ach­tung ge­ra­de noch so fah­ren.

Ir­gend­wie ent­kom­me ich dann doch die­ser sur­rea­len Um­ge­bung. Ich fra­ge mich, was pas­sie­ren wür­de, wenn mei­ne Frau all das wüss­te. Das reicht mir dann: Ich schal­te Goo­gle auf «Au­to», was mir wei­te­re Ne­ben­stre­cken er­spart und mich oh­ne Um­we­ge ge­gen 23 Uhr am Cam­ping an­kom­men läst. Min­des­tens 147 km sind für die­sen Tag ver­bürgt, 150 wahr­schein­lich.

Da­mit ist der Tag aber noch nicht zu En­de. Vie­le fran­zö­si­schen Cam­ping­plät­ze sind, an­ders als frü­her, nicht mehr ganz­tä­gig für Fuß­gän­ger und Rad­fah­rer be­tret­bar. Dort muss man jetzt auch an den klei­nen To­ren Co­des ein­ge­ben, so auch am Cam­ping Pa­ris Beaux Vil­la­ge. Wäh­rend ich noch vor dem Tor ste­he, kommt ei­ne Grup­pe Fran­zo­sen aus Pa­ris zu­rück. Sie las­sen mich mit auf den Platz, wo ich auf die Che­fin tref­fe, die mich fragt: «Spre­chen Sie eng­lisch?», «Nein,» ant­wor­te ich wahr­heits­ge­mäß, «nicht mit Fran­zo­sen.»

Ich er­zäh­le ihr, dass ich Krebs im Ra­chen hat­te und des­halb schwer zu ver­ste­hen sei. Sie sol­le nach­fra­gen, wenn sie et­was nicht ver­stan­den hat. Das Han­di­cap, mein Al­ter, die Uhr­zeit und mei­ne An­ga­be, dass ich be­reits 150 km ge­fah­ren sei, er­zeu­gen au­gen­blick­lich je­de Men­ge Mit­leid. Der Platz ist tat­säch­lich kom­plett be­legt, ei­ne Wie­se für Ein­zel­rei­sen­de gibt es nicht. Aber es gibt noch ei­ne Ecke, die man nicht ver­mie­ten kann - und da bringt man mich für die Nacht un­ter. Kaum ist das Zelt auf­ge­baut, be­ginnt es zu reg­nen. Das Smart­phone hat noch 7% Ener­gie. Lei­der lässt es sich an der Steck­do­se in den Sa­ni­tär­an­la­gen nicht auf­la­den. Ich schi­cke mei­ner Frau noch den ak­tu­el­len Stand­ort. Um 1 Uhr du­sche ich, we­nig spä­ter bin ich im Bett. Das Smart­phone schläft in die­ser Nacht so tief wie ich.