100 Pistenkilometer am Tag!
Wie soll das gehen? Wo soll man das fahren?
Die Fahrt, von der ich hier berichten will, hat sich im April 2009 zugetragen und beginnt so:
«Zermatt ohne Stockhorn - das geht gar nicht!», antwortete mir mein Sohn damals mit gespielter Empörung, als er mir den HOLUX GPSport 245 in die Hand drückte, damit ich für ihn den Tag auswerten möge. «Ich bin ja auch zwei Mal die Mittelritz gefahren.» - Warum er diese schweren und relativ kurzen Skirouten fahren musste wo er doch auf Pistenkilometer aus war, ist mir noch heute ein Rätsel, und so entgegnete ich ihm damals ein wenig entsetzt: «Du hast damit Dein Ziel gefährdet, an einem einzigen Tag 100 Pistenkilometer zu fahren.»
Ich warf das Notebook an und startete GNavigia. Das Programm erlaubt es mir, die Rohmessungen der Tracks von Fehlern zu befreien, sodass die Angaben auch zutreffen. Dazu kann ich die Abfahrten so unter einem Objekt zusammenfassen, dass diese zusammengerechnet werden. Anders als Skiline, die die Pistenkilometer nach den Einstiegspunkten und den Angaben der Bergbahnen zur Pistenlänge ermitteln, ist das Verfahren mittels GPS auch nicht auszutricksen1.
Noch vor Mitternacht war dieser denkwürdige Tag ausgewertet2. Knapp 18000 Höhenmeter und 110 Kilometer reine Fahrstrecke, etwa das Dreifache eines normalen Skitags, kamen am Ende zusammen und der Lift- und Pistenplan war zugleich auf allen markant schweren Positionen abgefahren worden, in der Spitze morgens am Furggsattel mit 104 km/h. Wegen der bei gutem Wetter regelmäßig auftretenden Wartezeiten an der Luftseilbahn zum Klein Matterhorn fehlte am Ende nur die Abfahrt von dort. Ein Kompliment an einen engagierten und dabei doch immer sicheren Skifahrer, an schnelle und flexible Head XRC 1200i und an ein einzigartiges, wirklich herausragendes Skigebiet, das das zulässt.
Warum wird in Foren eine Frage so häufig gestellt: «Welche Skier könnt ihr mir empfehlen, wenn ich so etwas versuchen will?» Ich bin ziemlich sicher, dass es praktisch überhaupt nicht auf den Ski ankommt, zumindest nicht, wenn er prinzipiell für Geschwindigkeiten bis 100 km/h ausgelegt ist. Und das sind die meisten Ski in der Klasse 500 Euro aufwärts, die als Allrounder gekennzeichnet sind. 10% der Strecke wurden auf Buckelpisten und Skirouten gefahren. Da kann niemand allen Ernstes behaupten, dass Rennski Pflicht seien. Viel wichtiger ist, dass man sich auf seinen Skiern wohlfühlt.
Tatsächlich muss man bei einer solchen Fahrt (mittlerweile steht sein persönlicher Rekord bei 166 Pkm) eher nach der Kondition fragen, nach der Regelmäßigkeit mit der man fährt und nach der Fähigkeit, auch nach sechs Stunden die Skier sicher durch schwerer werdenden Schnee zu steuern. Und nach dem Skigebiet, wo das geht. Nicht umsonst geben schweizer Reiseveranstalter bei Tagesfahrten 5000-6000 Höhenmeter als Maximum für einen Skitag an. Darin sind Kondition, Wartezeiten an den Liften, Pausen mit Hüttenhock sowie Pisten- und Schneeverhältnisse enthalten. Wenn ich 6000 Höhenmeter fahre, habe ich etwa 35-40 Pistenkilometer hinter mir, bei 72 km sind es knapp 12000 Höhenmeter. Der GPS-Empfänger ist das Maß der Dinge, alles andere ist nur eine gute Näherung.
Eine pfiffige Gestalt hat einmal ausgerechnet, dass man sein Ziel an einem 100-km-Tag in 2,5 Stunden erreicht, wenn man im Schnitt 40 km/h fährt. Tatsächlich findet sich unter den GPS-Daten eine Strecke, die über 6 km hinweg einen solchen Durchschnitt aufweist, aber schon am Nachmittag sinkt der Schnitt auf dieser Abfahrt auf 36 km/h, der Schnee wird weicher. Daraus ergibt sich, dass man mindestens 3 Stunden unterwegs ist und daher nur knapp über 5 Stunden für Liftfahrten und Pausen bleiben. Wenn die Betriebszeiten der Bahnen zwischen 9:00 und 17:00 Uhr liegen, sollte das ausreichen. Wenn man so schnell fahren kann.
Schnelles Fahren hat schon manchen Halbkönner in schwere Unfälle verwickelt. Daher gelten alle Angaben hier für Leute, die ihre Ski auch bei sehr hohen Geschwindkeiten im Griff haben. Andererseits kann man etwas dagegen tun, dass Vorausfahrende nerven. Hier haben sich Luftseilbahnen bewährt, die Skifahrer stoßweise auf die Pisten entlassen. Man achtet darauf, dass man so steht, dass man sehr schnell aussteigen kann, beeilt sich beim Ausstieg, wirft die Skier in den Schnee, schnallt an und sieht zu, dass man vor der Meute unterwegs ist. Dann hat man auch die berühmten freien Pisten, die bei so einem Versuch wichtig sind. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass man am Ende auf diejenigen trifft, die in der Bahn zuvor waren.
Luftseilbahnen haben sich noch in anderer Hinsicht bewährt. Hat man keine Wartezeiten, überwinden sie 1000 Höhenmeter in wenigen Minuten. Da Luftseilbahnen meist nur dort eingesetzt werden, wo die Geländeform keine Umlaufgondeln zulässt, folgt die Piste nur selten unmittelbar dem Lift. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein günstiges Verhältnis zwischen Lift- und Abfahrtlänge. Aber Luftseilbahnen allein tun es auch nicht. Pausen kann man an einem 100-km-Tag nur in den Beförderungsanlagen machen. Auch essen und trinken muss man hier. Daher ist ein Gebiet mit einigen Gondeln hilfreich, wo man sitzen kann. In Zermatt ist die Gornergratbahn zwischen Riffelalp und Endstation ein guter Tipp. Zugleich kann man dort die Gebietsseite wechseln, wenn man vom Rothorn kommt.
Wer auf Luftseilbahnen verzichten muss, der hat es dennoch nicht schwer, das Pensum abzufahren. Zwar befördern Luftseilbahnen Skifahrer mit 36-40 km/h, während Umlaufgondeln nur 18-20 km/h erreichen, gekuppelte Sessellifte 16 km/h, Schlepplifte 11-12 km/h und fixierte Sessel 7 km/h. Allerdings reicht es, eine einzige Gondel zu verpassen, um aus dem Rennen um Platz 1 geworfen zu werden. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass in Zermatt die Höhenmeterrekorde heute auf der Riffelbergbahn gefahren werden, einer 8er Umlaufgondel.
Dass das Wetter perfekt sein muss, steht außer Frage. Bei schlechter Sicht verbietet sich ein Fahren an der eigenen Leistungsgrenze. Aber auch bei guter Sicht sollte man sich darüber im klaren sein, dass Tempo 50 bedeutet, dass man sich anderen Skifahrern mit Tempo 30 nähert! Freie Pisten unterstützen das Unternehmen - und da ist Zermatt unübertroffen. Wegen der schlechten Erreichbarkeit ist das Gebiet praktisch frei von Tagestouristen. Wer die Chance hat, an einem Samstag zu fahren, hat keine Anfänger vor sich, allenfalls Einheimische mit entsprechendem Fahrvermögen. Schrittmacher, sozusagen.
Zuletzt noch zum Fahrspaß: Das sinnloseste Argument gegen eine Rekordfahrt ist, dass man die Landschaft nicht genießen könne! Es ist komplett ausgeschlossen, in einem Gebiet eine Rekordfahrt zu versuchen, das man nicht gut kennt. Denn wenn man schon flott unterwegs ist, sollte man die Pisten alle zuvor mehrmals gefahren sein. Dies trägt in erheblichem Maße zur Sicherheit bei. Wer viele Jahre nach Zermatt kommt, wird einen Tag übrig haben, an dem er das Matterhorn nur aus den Augenwinkeln heraus an sich vorbeiziehen sieht. Und glasklar zum Schluss: Es ist das Argument der Neidhammel schlechthin. Denn nichts (außer gutem Sex) bereitet mehr Genuss als der Blick auf einen GPS-Empfänger, der brutto knapp 220 km zeigt!
«Zermatt ohne Stockhorn - das geht gar nicht! Ich bin ja auch zwei Mal die Mittelritz gefahren.», signalisiert aber auch, dass der Protagonist dieser Geschichte noch Optimierungspotenzial hinsichtlich der Streckenführung gehabt hätte. Das Bild oben zeigt die Verhältnisse am Stockhorn und auch die Mittelritz ist von gleichem Kaliber, wenn auch ein klein wenig weniger steil. Wer solche Skirouten und Buckelpisten, zusammen immerhin knapp 10 Kilometer, an solch einem Tag fährt, wird beim Fahrspaß nicht zu kurz gekommen sein. Der Satz zeigt aber auch, das da einer unterwegs war, der ohne jede Verbissenheit sein Ziel verfolgt. Das ist wichtig, um brenzlige Situationen souverän zu erkennen und ihnen von vorne herein aus dem Weg zu gehen. «Voir, c'est prévoir!» ist ein großartiger Satz, den ich einmal an der Autobahn im Wallis sah auf der Anfahrt nach Zermatt und der nicht nur für das Auto fahren gilt. Warum werden Skilehrer so selten in Unfälle verwickelt?
Denken Sie an all das, wenn Sie versuchen, 100 Pistenkilometer am Tag zu fahren. Ich wünsche Ihnen das rechte Augenmaß und: «Viel Erfolg! Ja, das geht.»
2 Heute geht die Auswertung eines Tages deutlich schneller von statten. Ich habe GNavigia eine Auswertefunktion für Skigebiete verpasst, die den Benutzer von Liftstation zu Liftstation führt. Mit ein wenig Übung benötigt man nur noch eine Stunde für einen Tagestrack.