Pi­sa und der «Schie­fe Turm»

Ei­ne Stadt mit gro­ßer Tra­di­ti­on

Auf der Fahrt nach Sü­den pas­sie­ren wir Car­ra­ra, be­kannt für sei­nen wei­ßen Mar­mor. Wir fah­ren an die­sem Mor­gen nur we­ni­ge Ki­lo­me­ter bis Via­reg­gio, wo wir ei­nen ge­fäl­li­gen Cam­ping­platz fin­den und am Nach­mit­tag so­gar noch zum Ba­den kom­men. Al­ler­dings haut mich der Strand nicht ge­ra­de vom Ho­cker. Ich mag es nicht, wenn mir dau­ernd die flie­gen­den Händ­ler auf den Leib rücken und der Dreck der Zi­vi­li­sa­ti­on kaum noch Platz für das Hand­tuch lässt. Von der Ile d'Oléron bin ich wohl ver­wöhnt. Der Schmutz an ita­lie­ni­schen Strän­den ist mir zu­wi­der.
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Von Via­reg­gio aus fah­ren wir mit der Bahn nach Pi­sa. Auf dem Cam­ping­platz steht der Wa­gen gut. Pi­sa selbst ist nicht ge­ra­de ei­ne Schön­heit, die nüch­ter­nen Mau­ern am Ufer des Ar­no le­gen Zeug­nis da­von ab. Welt­be­rühmt ist Pi­sa we­gen sei­nes Schie­fen Tur­mes, der zur Zeit wie­der weit­ge­hend auf­ge­rich­tet wird. Na­tür­lich darf das nur so­weit ge­sche­hen, dass man den Ort nicht um sein ein­ma­li­ges Wahr­zei­chen bringt. Der Turm ge­hört zu ei­nem Kir­chen­kom­plex, der aus Dom, Turm und Tauf­kir­che be­steht. Hin­zu kom­men noch wei­te­re Mu­seen, die sich um den Platz her­um an­ge­sam­melt ha­ben und die man na­tür­lich auch be­sich­ti­gen kann. Un­ter an­de­rem sind hier au­ßer­ge­wöhn­li­che Hand­schrif­ten al­ter Mess­bü­cher zu be­sich­ti­gen.
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Der Bau des Doms, der ge­gen die gro­ßen Ka­the­dra­len des Mit­tel­al­ters eher be­schei­den aus­sieht, wur­de im Jah­re 1063 be­gon­nen. Er wur­de 1118 ge­weiht und et­wa 40 Jah­re spä­ter vollen­det. Der Dom wur­de im rö­mi­schen Stil und ganz aus weißem Car­rara-Mar­mor er­rich­tet. Der Schwemm­land­bo­den un­ter dem Dom führ­te im Lau­fe des Bau­es zu zahl­rei­chen Pro­ble­men, u.a. zum leich­ten Ab­sin­ken nach Os­ten.
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Mit dem Bau des Glock­en­turms (Cam­pa­ni­le) wur­de et­wa 100 Jah­re nach dem Dom be­gon­nen. Die leicht ge­bo­ge­ne Ach­se des Tur­mes lässt er­ah­nen, dass sich der Turm be­reits zu Bau­zei­ten ge­neigt ha­ben muss. Bis zum Auf­set­zen des of­fe­nen Glo­cken­stuhls ver­gin­gen 100 Jah­re, in der sich nie­mand an die Fer­tig­stel­lung des Tur­mes wag­te. Als «Schie­fer Turm von Pi­sa» (Tor­re Pen­den­te) wur­de er zum Wahr­zei­chen der Stadt. Bis 1990 konn­te man den Turm noch be­stei­gen, dann wur­de er für den Zeit­raum der Bau­ar­bei­ten ge­schlos­sen. Bis zu die­ser Zeit neig­te sich der Turm um et­wa 1 mm pro Jahr. Im Jah­re 2000 hät­te der Turm da­nach um­stür­zen sol­len. Heu­te sor­gen schwe­re Ge­gen­ge­wich­te und Seil­zü­ge für das lang­sa­me Wie­der­auf­rich­ten des Tur­mes. Der Turm diente dem be­rühm­tes­ten Sohn der Stadt, Ga­li­leo Ga­li­lei (1564-1642), als Ort sei­ner Fall­stu­di­en, die den Be­ginn der neu­zeit­li­chen Phy­sik mar­kie­ren. Die Fall­ge­set­ze schu­fen die Grund­la­ge für die New­ton­sche Mecha­nik, die die Na­tur­wis­sen­schaft re­vo­lu­tio­nier­te.
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Pi­sa hat ei­ne se­hens­wer­te, aber nicht ge­ra­de um­wer­fen­de Alt­stadt mit ei­ner Rei­he wei­te­rer in­ter­essan­ter Ge­bäu­de zu bie­ten, die heu­te zum Teil zur Uni­ver­si­tät ge­hö­ren. Ei­ne wei­te­re Ku­rio­si­tät sind die Pfer­de­fuhr­wer­ke, mit de­nen sich Tou­ris­ten durch die Stadt kar­ren las­sen kön­nen. Pi­sa war zur Zei­ten der Rö­mer be­reits ei­ne be­deu­ten­de Ha­fen­stadt, die spä­ter zur mäch­tigs­ten See­re­pu­blik Ita­li­ens auf­stieg. 1063 be­sieg­te der mit den Nor­man­nen ver­bün­de­tet Stadt­staat die Sa­ra­ze­nen (Ara­ber) bei Mes­si­na und Pa­ler­mo. Da­nach dehn­te Pi­sa sei­nen Ein­fluss über das ge­sam­te we­sent­li­che Mit­tel­meer aus. Der Han­del und Kreuz­zü­ge be­scher­ten der Stadt ei­nen im­men­sen Reich­tum. Aus je­ner Zeit stammt auch das Dom­vier­tel. Im Jah­re 1284 wur­de die Flot­te von den Ge­nue­sen bei Li­vor­no ver­nich­tend ge­schla­gen, wo­mit das En­de der Groß­macht Pi­sa be­sie­gelt war. Zu­dem ver­lor Pi­sa sei­ne Be­deu­tung als Han­dels­stadt durch die Ver­lan­dung des Ha­fens und liegt heu­te et­wa 10 km land­ein­wärts.